biographisches und mehr...
ä
ä
Das Außen prägt das Innere. Dennoch ist das Innere dem Außen nicht identisch, sondern ein Spiegel, eine imaginäre Wiedergabe. Es ist nicht das Äußere selbst. Dadurch wird es individuell und einmalig. Obwohl dasselbe gespiegelt wird, ist der Spiegel doch ein anderer. „Was mich an jeder Malerei interessiert, ist die Ähnlichkeit, das heißt das, was für mich die Ähnlichkeit ist, was mich veranlasst, ein wenig die äußere Welt zu entdecken“.
Ich denke was Giacometti hier anspricht hat nichts mit physischer Ähnlichkeit zu tun. Vielmehr sucht er danach, wie uns die Welt anmutet, was sie uns sagen will. Er sucht nicht das, was man verstehen, analysieren und begreifen kann, sondern das, was als Stimmung, als Atmosphäre anwesend ist. Paul Klee schilderte seine Erlebnisse folgendermaßen: „In einem Wald habe ich zu wiederholten Malen empfunden, dass nicht ich den Wald betrachtete. An manchen Tagen habe ich gefühlt, dass es die Bäume waren, die mich betrachteten, die zu mir sprachen… Ich war da und lauschte nur… Ich glaube, dass der Maler vom Universum durchdrungen wird und es nicht selbst durchdringen wollen muss… Ich warte darauf innerlich überflutet, überschüttet zu werden. Vielleicht male ich, um wieder emporzutauchen.“
Alles, was uns von Außen begegnet wird zum Inneren. Rudolf Steiner bezeichnet den Zufall als ein Ergebnis der Spiegelung der äußeren Welt. Sie spiegelt sich im Inneren, dennoch bleibt es nur ein Spiegel und nicht das Reale und insofern ist es auch ein Nichts. „Würde es unmöglich sein, dass im Weltenwerden sich ein Glied an die anderen Glieder knüpft, ohne das Spiegelung entsteht, dann würde dass, was unter den Begriff der „Zufälligkeit“ fällt, absolut ausgeschlossen sein. Aber dann gäbe es überhaupt, so schwer das zu denken ist, nirgends Gegenwart.“
Erinnerungen sind persönliche Dinge, sie haben nur mit mir etwas zu tun. Meine Biographie, meine Vergangenheit setzt sich aus in der Erinnerung festgehaltenen Bildern. Manche sind banal, einige glücklich. Solche Erinnerungen berühren mich nicht so sehr. Aber es gibt andere, die ein Geheimnis haben. Diese berühren mich. Sie sind oft mit etwas Eigenartigem, mit etwas Einmaligem verbunden.
Ich erinnere mich an einen Tag, ich war damals Anfang 20. Es war Winter. Ich stand an einer verschneiten Bahnstation und wartete auf eine Bahn – Elektrichka. Es war Abend, die Schneeflocken fielen ruhig. Ich stand da fast alleine, auf jeden Fall erinnere ich mich an keinen Menschen in meiner Nähe. Plötzlich kam mir ein Gedanke: “Wenn ich nicht mehr lebe, welche Erinnerungsbilder bleiben mir?” Dann habe ich diese Bahnstation mit ganz fremdem Blick angeschaut. Alles bekam auf einmal eine ganz andere Dimension – es wurde zu einer Kulisse, Kulisse für mein Leben mit einer neuen Bedeutung. Bis heute ist mir dieses Erlebnis sehr präsent: die Gebäude, der Schnee, das besondere Licht von den Laternen in der Dunkelheit.
Heute, viele Jahre später und mit viel künstlerischer Erfahrung kenne ich diesen Blick gut, diesen besonderen Blick: ein Ding aus dem Zusammenhang herauszunehmen und mit fremdem Blick zu betrachten. Dadurch bekommen ganz unscheinbare Dinge ein neues Leben. Aber wodurch werden die Dinge und die Menschen anders? Bin ich diejenige, die sie „frei“ oder „unfrei“ sehen und denken und somit die Umwelt beeinflussen kann? Dieser Blick auf das Herkömmliche interessiert mich.
Das Zukünftige ist ein Zeitstrom, ein Zeitelement, das nicht mit der Vergangenheit, nicht mit dem Erlebten, nicht mit dem bereits Erfahrenen zu tun hat, sondern mit
dem, was es noch nicht gibt. In jedem Kunstwerk hat die Kunst ihren eigentlichen Sinn darin, in die Zukunft zu weisen um das zu zeigen, was es noch nicht gibt, aber zu einer neuen Realität werden
kann. Das erfordert eine besondere Haltung, einen neuen Blick auf das Herkömmliche. Wenn Alltagsdinge in den Kontext von Kunst gelangen, erscheinen sie fremdartig. In solchen Momenten wird ein
neuer Blick auf die Dinge oder auf selbstverständliche Zusammenhänge möglich. Sie werden fragwürdig und können zum Forschungsgegenstand einer künstlerischen Untersuchung werden.
"Die Zeit ist ein fluchtiges Element der Existenz unserer Seele..."
Die erlebte Zeit ist durch die Erinnerungen in uns präsent. Die Erinnerungen sind sehr persönliche Dinge. Sie haben nur in Bezug zur eigenen Biographie Geltung. Sie sind für die Anderen fremd und dennoch nicht unverständlich. So wie der Mensch selbst mit seinem eigenen Schicksal und seinen eigenen Erlebnissen für die Anderen nicht unverständlich aber doch fremd bleibt. Die Erinnerungen liegen in einem Zeitstrom, der für alle gültig ist. Die Zeit macht die individuellen Erlebnisse allgemeingültig. Die Zeit und der Ort.
Wenn ich mich an etwas erinnere, dann entsteht ein imaginativer Raum. In dem Augenblick verschwindet die Gegenwart und gleichzeitig entfaltet sich ein anderer Raum, ein Bild, durch welches ein besonderes Erlebnis in meinem “Inneren” festgehalten wird. Ja, es muss ein besonderes Erlebnis, eine emotionale Teilnahme damit verbunden werden. Durch diese emotionale Bindung wird die ganze Außenwelt verinnerlicht und wird zu meiner inneren Welt. Die äußere Welt lebt im Inneren auf. So wird das Erlebte “verleiblicht”. Es wird zur Erfahrung und bleibt zur Verfügung, es kann sich auf einmal entfalten und zum Raum sich ausdehnen - zu einem farbigen mit Geräuschen und Gerüchen gefüllten Raum. Der äußere Raum wird zu einem inneren, durch das Gefühl individualisierten Raum. So wird die Zeit zum Raum.
Die Erinnerungen lassen sich räumlich beschreiben, so wie ein Raum sich beschreiben lässt. Dieser äußere Raum wird zu einem “Behälter” für die damit verbundenen Erlebnisse und Gefühle, die intim und persönlich sind. Das zeitliche Element dabei lässt sich nicht beschreiben und dient wie ein Träger dem Gefühlsmäßigen. Die Zeit ist ein flüchtiges Element der Existenz unserer Seele, die Bedingung für das Leben. Sie ist nicht an den äußeren Dingen festzuhalten. Das Vergängliche ist mit dem Räumlichen verbunden und nicht mit der Zeit.